Während meiner Studienzeit war ich, glaube ich, tätsächlich für einige meiner Kommilitoninnen so etwas wie ein Freak, weil mich – im Gegensatz zu ihnen – Themen wie Barrierefreiheit, ökologisches Bauen und soziale Stadtentwicklung mehr interessiert haben als einfach nur repräsentative gläserne Büropaläste. Soziale und nachhaltige Themen eben. Als ich realisierte, dass sich an diesem „brennenden“ Interesse leider bei vielen Architekt/innen und Handwerker/innen auch nach 20 Jahren immer noch nichts geändert hat, begann ich 2012 mit Unterstützung des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg ein Expert/innen-Netzwerk aufzubauen: Die Rampenleger.
„Rampenleger“ sichern altersgerechtes Wohnen ab
Friedrichshain-Kreuzberg. Wir alle werden älter. Und damit auch gebrechlicher. Unsere Umwelt ist darauf aber noch kaum eingerichtet. Source: www.berliner-woche.de/friedrichshain/sonstiges/rampenleger-sichern-altersgerechtes-wohnen-ab-d31834.html
Natürlich berate ich Die Rampenleger nach wie vor und unterstütze bei der Öffentlichkeitsarbeit. Mein Interesse an Barrierefreiheit und Inklusion ist durch das Projekt eher noch gewachsen und meine Auftraggeber/innen wissen es zu schätzen, jemanden an ihrer Seite zu wissen, die sich im Thema (mit all seinen Facetten) auskennt.
Der folgende Text nun stammt aus einem aktuellen Newsletter, den ich geschrieben habe. Und da er nicht nur für Berlin relevant ist, will ich ihn Dir nicht vorenthalten. Schließlich leben in ländlichen Regionen wie der Oberlausitz (im Verhältnis gesehen ) ja noch deutlich mehr alte Menschen als in Berlin…
Wohnumfeld verbessernde Maßnahmen – endlich barrierefrei wohnen und leben
Einfach unglaublich! 80 Prozent der Arztpraxen in Deutschland können von Menschen mit Behinderung nicht aufgesucht werden!
So oder so ähnlich war die Schlagzeile, die in den letzten Tagen in diversen Zeitungen stand. Und in der Tat, es ist wahr, wie jede/r, der auf Barrierefreiheit angewiesen ist, schon lange weiß.
Ja, es muss sich endlich etwas daran ändern und so haben wir (Anm.: die Firma DOC-DARMER) gerne als geladene Expert/innen am 26. April am Fachgespräch “Barrierefreie Arztpraxen” mit Uwe Schummer (Beauftragter für Menschen mit Behinderungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) im Jakob-Kaiser-Haus teilgenommen.
Fazit des Fachgespräches war: „Für ein flächendeckendes Angebot ist aus Sicht aller Experten ein KfW-Förderprogramm nötig – so wie es für den altersgerechten Umbau von Wohnungen bereits zur Verfügung steht.“
Ein neues KfW-Förderprogramm für Arztpraxen

Reisen mit Behinderung in Berlin | Copyright: © visitBerlin, Foto: Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de
Eins vorab: natürlich sind wir ebenfalls der Meinung, dass Arztpraxen und andere Gewerberäume für jede/n zugänglich sein sollten und es nicht schaden kann, weitere Förderinstrumente zu schaffen, wenn man dadurch mehr Barrerefreiheit erlangt.
Und nun gibt es also die CDU/CSU-Forderung, dass es eine neue KfW-Förderung geben soll, um zusätzliche Anreize zu schaffen, damit mehr Arztpraxen für Menschen mit Behinderung zugänglich werden.
Gehen wir doch einmal ganz praktisch an dieses Thema heran: für jede/n zugänglich bedeutet zunächst einmal eins, nämlich, dass es keine hinderlichen Stufen vor der Praxis gibt, was in der Regel jedoch der Fall ist.
Die Frage ist für uns noch ungeklärt, was genau mit einem solchen KfW-Programm finanziert werden soll?
Möglichkeit Nr. 1: Ärztinnen und Ärzte sollen ermuntert werden, einen Fahrstuhl für ihre Patient/innen einbauen zu lassen
Tatsächlich ist es doch so: es gibt bereits eine KfW-Förderung für Haus- besitzer/innen, die eine barrierefreie Zugänglichkeit von Häusern und Wohnungen sichern soll. Diese wird auch bereits genutzt, um z.B. – im Rahmen von Dachgeschossausbauten, Teilungserklärungen etc. – nachträglich einen Fahrstuhl einzubauen.
Der Einbau eines Fahrstuhls, der für viele Menschen eine große Erleichterung mit sich bringt, gilt als deutliche Aufwertung des Gebäudes zum Vorteil der Haus- eigentümer/innen. Und so ist dies derzeit auch ein sehr sensibles Thema in Berlin.
Des einen Freud ist des anderen Leid
Mieter/innen befürchten (in der Regel zu Recht) eine darauf folgende schmerzhafte Erhöhung ihrer Miete.
Gebäude barrierefrei zu gestalten, gilt leider Gottes noch als wertsteigernde Modernisierungs- und Luxusmaßnahme und weniger als zwingende Notwendigkeit wie z.B. der Brandschutz. Tatsächlich wird deshalb teilweise auch bewusst auf einen Neubau von Fahrstühlen im Altbaubestand verzichtet, um dadurch (noch mehr) steigende Mieten zu verhindern.
Möglichkeit Nr. 2: Mit einem neuen KfW-Programm sollen lediglich die Praxisräume an sich neu gestaltet werden können
Aber wie realistisch ist es, dass Ärztinnen und Ärzte auf freiwilliger Basis Geld investieren und eventuell auch noch zusätzlich Einkommenseinbußen während eines Umbaus hinnehmen, wenn ihre Arztpraxis schon jetzt bereits voll ist?
Und welchen Sinn macht das, wenn noch kein Fahrstuhl im Haus vorhanden ist, damit Menschen mit Behinderung ihre Praxisräume überhaupt erreichen können?
Gestatten Sie uns außerdem noch eine abschließende Frage zu diesem Thema – unabhängig von Fragen zur Förderung von barrierefreien Arztpraxen:
Können wir denn so ohne Weiteres davon ausgehen, dass jede Ärztin oder jeder Arzt auch wirklich für die Belange von Menschen mit Behinderung ausreichend sensibilisiert ist, um sie überhaupt zufriedenstellend behandeln zu können?
Und wäre es nicht eigentlich der erste Schritt in die richtige Richtung, Ärztinnen und Ärzte erst einmal entsprechend zu sensibilisieren und weiterzubilden?
Unser Fazit hierzu ist also: KfW-Förderung klingt erst einmal gut, aber da muss noch einmal ordentlich quergedacht werden.
A propos: eine Förderung zur barrierefreien Umgestaltung von Gewerberäumen gibt es eigentlich bereits. Wenn Unternehmer/innen nämlich arbeitslose Menschen mit Behinderung einstellen, dann klappt´s auch mit Zuschüssen für Maßnahmen zur Anpassung der Räume. Und da Fachkräfte anscheinend immer knapper werden, wäre das vielleicht ein erfolgversprechenderer Ansatz, um direkt zwei Fliegen mit einer Klatsche zu fangen…
Alles Wissenswerte ist doch bereits in der DIN 18040 festgelegt…
Aber bleiben wir beim Thema. Nehmen wir an, die Finanzierung ist geregelt und alle Ärztinnen und Ärzte sind so sensibilisiert, dass sie – Yeah – jetzt plötzlich alle barrierefreie Arztpraxen haben wollen.
„Und – wer macht´s? Kompetent, fachgerecht und bezahlbar?“
Gerne wird die DIN 18040 als maßgebliches bestehendes Steuerungsinstrument angeführt, wenn wir diese Fragen stellen. Und dabei scheint Konsens zu bestehen, dass damit bereits alles Wesentliche geregelt ist.
Tatsächlich ist es wahr, dass es bereits einiges an Regelwerken zur Planung gibt. Eine Broschüre des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) listet sämtliche Regelwerke auf, die für die Planung öffentlich zugänglicher Räumlichkeiten relevant sind.
Haben Sie sich diese 208 Seiten des BMUB-Leitfadens schon komplett durchgelesen? Und auch die dazugehörigen Regelwerke? Und was schätzen Sie nun, wieviele Architekt/innen oder Handwerker/innen bisher die Zeit gefunden haben, sich damit ausführlich zu beschäftigen ohne dass dies bisher offiziell eingefordert wurde?
Übrigens: wer sich schneller ein Bild machen möchte, was bei der Planung einer barrierefreien Arztpraxis alles berücksichtigt werden sollte, kann sich stattdessen auch bei unseren Partner/innen von Nullbarriere einen ersten Überblick verschaffen.
3 Fallstricke, wenn es um die Anpassung von bestehenden Arztpraxen geht
Gerade weil es vielen leider nicht bewusst zu sein scheint, wie anspruchsvoll Barrierefreies Bauen ist, werden wir nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man dazu unbedingt spezielle Fachkenntnisse benötigt – sowohl theoretisch als auch praktisch. Und dass mit DIN-Normen alleine nicht alles geregelt werden kann.
1. Fallstrick: Die bestehenden DIN-Normen regeln nur bedingt Anpassungen in bestehenden Gebäuden
Sämtliche der Planungsgrundlagen beziehen sich vor allem auf die Berücksichtigung von Barrierefreiheit bei der Planung von Neubauten. Eine Planung im Bestand ist jedoch eine völlig andere Angelegenheit.
Bei einer Anpassung eines bestehenden Gebäudes müssen Sie in der Lage sein, mit dem umzugehen, was baulich bereits seit Jahrzehnten vorhanden ist – ob es sich nun um die Tragfähigkeit von Wänden oder die bestehenden Sanitärleitungen handelt.
Und bestehende Räume kann man auch nicht unbedingt beliebig vergrößern, um mehr Bewegungsfläche zu erreichen.
Eine Umplanung ist also etwas völlig anderes als eine Neuplanung. Und man kann zwar dadurch weitestgehend Barrieren abbauen, aber eine vollständige Barrierefreiheit nach DIN wird man im Bestand trotzdem nur selten erreichen.
Aber auch eine maximale Barrierearmut im Bestand kann nur realisiert werden, wenn bei den Verantwortlichen sowohl die notwendige Planungserfahrung als auch ausreichend Produktkenntnisse vorliegen.
2. Fallstrick: Die meisten Architekt/innen, Planer/innen und Handwerker/innen sind für barrierefreies Bauen nicht qualifiziert
Eine unserer Lieblingsfragen bei offiziellen Veranstaltungen ist deshalb: „Inwiefern wird bei barrierefreien Planungen oder Anpassungen darauf geachtet, ob die planenden und ausführenden Firmen auch tatsächlich für Barrierefreies Bauen qualifiziert/zertifiziert sind?“ Und die kurze Antwort war leider auch diesmal: “Es wird doch für ein Handwerksunternehmen kein Problem sein, eine Tür zu verbreitern.”
Nunja, alleine das Inhaltsverzeichnis der DIN 18040 dürfte selbst einem Laien klar machen, dass Barrierefreies Bauen deutlich mehr beinhaltet, als die Kenntnis davon, wie man eine Türöffnung verbreitert.
Anpassungen im Bestand werden meistens ohne Architekten durchgeführt
Sind Sie ebenfalls davon ausgegangen, dass bei jedem Bauprojekt zwangsläufig ein/e Architekt/in wie Sonja Hopf beteiligt ist, die Ahnung von Barrierefreiem Bauen hat, die Planung dafür übernimmt und den Handwerker/innen sagt, was genau diese tun sollen und, vor allem, wie? Dann liegen Sie falsch.
In der Regel werden bei kleinen Bauvorhaben ohne Bauantrag aus Kostengründen gar keine Architekt/innen hinzugezogen. Und – Frau Hopf wird uns das leider bestätigen können – auch bei den Architekt/innen sind Expert/innen für Barrierefreies Bauen immer noch dünn gesäht. Und außerdem: unabhängig von der Theorie existiert immer noch die praktische Umsetzung….
Papier ist geduldig und der Teufel steckt im Detail
Mit Hilfe spezieller Produkte kann eine ebenerdige Dusche hergestellt werden ohne in der darunterliegenden Nachbarwohnung die Deckenhöhe zu verringern. Und Sie können auch einen ebenerdigen Zugang von Ihrer Wohnung auf die Terrasse herstellen ohne dass anschließend Regenwasser in Ihre Wohnung eindringt.
Und mit dem richtigen Spezialwerkzeug können auch Türschwellen in Ihrer Wohnung schnell nachträglich abgebaut werden ohne den Bodenbelag zu runinieren. Das und vieles andere können und wissen qualifizierte Fachbetriebe für Barrierefreies Bauen.
Sie wissen nicht nur, dass Türschwellen entfernt werden sollten, sondern auch wie und womit sie es konkret praktisch umsetzen können. Nur müssen Sie diese eben erst einmal finden können.
3. Fallstrick: Wenn die Einhaltung nicht konsequent kontrolliert wird, bleiben alle Regeln wirkungslos
Unsere zweitliebste Frage bei öffentlichen Veranstaltungen “Wie wird denn kontrolliert, ob die DIN-Normen auch tatsächlich angewendet werden?” wurde übrigens auch bei diesem Fachgespräch nicht beantwortet.
Wir kennen jedoch eine Antwort dazu bereits, weil die Piraten-Partei dankenswerterweise bereits 2013 stellvertretend für uns und unsere Mitstreiter/innen aus der AG Barrierefrei Wohnen in der BVV Friedrichshain-Kreuzberg eine entsprechende Anfrage dazu gestellt haben. Hier können Sie die Antworten lesen.
Kurz gefasst ist das Ergebnis: theoretisch müssen natürlich bei Bauanträgen die DIN-Normen eingehalten werden, aber die Kapazitäten der zuständigen Prüfer/innen beim Bauamt sind in der Realität äußerst begrenzt.
Und ob alle Prüfer/innen auch eine Weiterbildung zu Barrierefreiem Bauen absolviert haben oder sich bei der Beurteilung eines Bauantrages lediglich auf die DIN 18040 stützen, können wir Ihnen leider nicht sagen.
Letztendlich ist es bei der praktischen Umsetzung dann so: Wo kein/e Kläger/in ist, gibt es auch keine/n Beklagte/n. Kontrolliert wird jedenfalls bei einer Fertigstellung des Bauvorhabens anscheinend von niemandem standardmäßig die fachgerechte Umsetzung und Einhaltung der Normen.
Bei Anpassungen im Bestand wird übrigens in den seltensten Fällen ein Bauantrag notwendig, so dass hier gar keine übergeordnete Instanz kontrolliert – weder theoretisch noch praktisch.
Unser Fazit
Kurz vor den Wahlen tauchen – so wie in diesem Fall – immer plötzlich auch Themen und Forderungen auf, die emotional berühren können. Mal sind es Kinder/Bildung, dann die Flüchtlinge/Integration oder eben – so wie jetzt – Menschen mit Behinderung/Inklusion.
Schließlich gibt es ja in Deutschland auch über 10 Millionen Menschen mit Behinderung, wie der Vdk in einem aktuellen Video zur Gleichstellung feststellt, die gemeinsam mit ihren Angehörigen eine nicht zu unterschätzende Wähler- gruppe darstellen (falls die jeweiligen Wahllokale für sie barrierefrei zugänglich sind oder sie sich auf eine Briefwahl beschränken).
Grundsätzlich begrüßen wir jedes Engagement, das darauf abzielt, Barrieren abzubauen. Inklusion und Barrierefreiheit können gar nicht oft genug Thema sein – wirken sich doch die Folgen im Positiven als auch im Negativen immens auf unsere ganze Gesellschaft aus.
In Anbetracht der Komplexität des Themas sind wir allerdings der Meinung, dass ein einziges Fachgespräch mit Expert/innen nicht als Grundlage für zukünftige Forderungen, Planungen und Aktionen dienen kann.
Jedenfalls hoffen wir, dass auch andere wichtige Expert/innen-Hinweise, die beim Fachgespräch angesprochen worden sind (z.B. von Julia Probst zur besonderen Problematik von hörbehinderten Patient/innen) angemessen aufgegriffen und bearbeitet werden, um dafür Lösungen zu finden. Hier finden Sie einen Videoausschnitt dazu.
Wir wünschen uns, dass Mittel und Wege gefunden werden, das bereits vorhandene komplexe Wissen zentral und transparent öffentlich verfügbar zu machen und Expert/innen mit Praxiserfahrungen in den unterschiedlichsten Bereichen auch zukünftig kontinuierlich zur Lösungsfindung einzubeziehen.
Um wirklich optimale und praktikable Lösungen zu finden, ist es aus unserer Sicht unabdinglich, nicht nur alle bestehenden Rahmenbedingungen und Fallstricke ausreichend zu berücksichtigen, die bei Barrierefreiheit in der Praxis eine Rolle spielen, sondern auch vorhandene Projekte und Initiativen. Und auch Menschen, die in keinem Gremium sitzen, sollten leichter die Möglichkeit erhalten, Probleme zu benennen sowie Lösungsansätze öffentlich selbst vorzuschlagen oder zu kommentieren.
Mehr Infos erwünscht?
Auf der Facebook-Seite unseres Rampenleger-Netzwerks finden Sie zahlreiche Beiträge sowie Bilder aus unserem Berufsalltag, die für Sie ebenfalls interessant sein könnten. Schauen Sie doch einmal rein – Sie können auch mitlesen ohne bei Facebook angemeldet zu sein!
Wir wünschen Ihnen sonnige und entspannte Pfingsttage!
Herzliche Grüße
Ihr Rüdiger Darmer und Team
Solltest ich jetzt Dein Interesse an Barrierefreiheit geweckt haben, würde mich das sehr freuen. Und wenn Du den Newsletter zu Barrierefreiheit gerne öfter lesen möchtest, dann kannst Du Dich hier anmelden: newsletter[AT]doc-darmer.de
Bis demnächst
Deine tRaumpilotin