Mit Lungenkrebs ist man ja eigentlich schon genug geschlagen, wenn dann nicht auch noch diese speziellen Ärzt*innen wären. Trotz allem habe ich – Gottseidank – meinen Humor noch nicht verloren – nur noch etwas schwärzer ist er geworden. Deutlich schwärzer. Schwarz wie meine Lunge sozusagen. Das ist reiner Selbstschutz, damit ich weder um mich schlage, noch aus dem Fenster springe, wenn es für mein Gefühl eigentlich angebracht wäre.
Und ich frage mich gleichzeitig, wie es sein kann, dass so viele derart unempathische Menschen mit sozialen Funktionseinschränkungen auf Schwerstkranke losgelassen werden.
Sozialkompetenzen als Karrierefaktor? Fehlanzeige!
Der Oberarzt zum Beispiel, der mir im Krankenhaus kurz vor Weihnachten als erster unverblümt meine Diagnose mitgeteilt hat, hat bei mir tatsächlich diesen Reflex ausgelöst. Instinktiv habe ich direkt zum Fenster meines Patient*innenzimmers geschaut. Es war unvergittert.
Sehr leichtsinnig, dachte ich, wenn man zu Jemander, mit der man noch nie gesprochen hat, die man eigentlich gar nicht kennt, ans Krankenbett tritt und ohne Einleitung grinsend sagt:
Na Sie haben ja ein RIESENGROSSES Bronchialkarzinom!
und dann direkt zur Nächsten abrauscht.
Ob so etwas wohl auch in die Todesstatistiken einfließt?“
Seine Stationsärztin hatte Gottseidank deutlich mehr auf der Pfanne als er und hat mir dann direkt den Seelsorger geschickt. Den konnte ich danach auch echt brauchen.
Kleiner Scherz am Rande
Oder die Bestrahlungsexpertin, die mich dann im Frühjahr überzeugen wollte, dass ich mir neben der Lunge auch unbedingt von ihr vorbeugend mein Hirn bestrahlen lassen soll. Angeblich wird ja dadurch das Risiko verringert, an Hirnmetastasen zu erkranken (die bei ca. 40% der Patient*innen mit kleinzelligem Lungenkrebs früher oder später auftauchen sollen), die dann zum Tod führen.
Allerdings“, kicherte sie dabei, „müssen sie sich dann wahrscheinlich an eine kleine Zettelwirtschaft zuhause gewöhnen, weil dann manchmal die Erinnerung nicht mehr so richtig funktioniert.
Hihi.
Zu deutsch gesagt: Du lässt Dir dein Hirn grillen, obwohl da noch gar nichts Übles ist, in der Hoffnung, dass du dann vielleicht paar Wochen länger lebst. Und dafür riskierst du, zu einem Salatblatt zu werden.
Zwar doof, aber dafür 4 Wochen länger am leben. Aber du könntest natürlich auch direkt an den Folgen eines gesunden, aber durch die Bestrahlung angeschwollenen Gehirns abnippeln… – trifft nur ungefähr 2 von 100. Na dann hättest Du es halt hinter Dir.
NANANANANANA – Ihr könnt mich doch mal
In so einem Moment fragt man sich ja schon, ob diese kichernde Strahlenexpertin ihr Gerät vielleicht selbst schon einmal ausprobiert hat oder irgendwelche Medikamente nimmt, die sie nicht verträgt?
Aber vielleicht wollte sie mich durch ihre überzeugende Argumentation ja auch subtil und unausgesprochen dazu bringen, die Hirnbestrahlung abzulehnen? Dann hat sie das jedenfalls geschafft.
Leute, Ärzte*innen, es gibt auch irgendwo so etwas wie ethische Grenzen. Das ist so wie damals, als ich schwanger war und mich so eine Krankenhausärztin grundlos überreden wollte, prophylaktisch eine Fruchtwasseruntersuchung machen zu lassen, um gegebenenfalls der Gesellschaft nicht mit einem behinderten Kind auf der Tasche zu liegen (Hat sie tatsächlich so gesagt.)
Und dann musste sie auf meine Nachfrage zugeben, dass bei einer 30jährigen das Risiko, dass das Kind durch die Untersuchung einen Schaden erleidet, höher ist, als dass es bereits eine Behinderung hat. Abgesehen davon, dass ich im 6. Monat war und auch ein Kind mit Behinderung bekommen hätte. Da greift man sich doch nur noch an den Kopf.
Sieh es doch mal positiv!
Nebenbei bemerkt: Das Gute an Lungenkrebs ist, dass du dich eigentlich ganz entspannt zurücklehnen kannst und lässig sagen: „Dann verklag mich doch!“ 😎😁 Mit der Überlebensprognose die Du hast, hat doch jede*r die A…._karte.
Ich sollte deshalb einmal viel intensiver darüber nachdenken, was das für mich so bedeuten könnte, außer dass ich mich noch forscher als sonst über defizitäre Rahmenbedingungen öffentlich äußere?!
Was könnte man eigentlich alles tun, wenn man eine Krebskarte in petto hat? Vielleicht sollte ich mir ja erst einmal Gras verschreiben lassen, um Antworten auf diese Fragen zu finden. 😁
Ich könnte zum Beispiel meinen inneren Impulsen einfach mal nachkommen. Und sollte mir gegebenenfalls tatsächlich mal die Hand oder der Ton bei einem weißen Kittel ausrutschen, könnte ich dann ebenfalls einfach nur lächelnd sagen:
„Werten Sie das einfach als Behandlungserfolg.“
Denn tatsächlich wäre ich bis vor kurzem gar nicht in der Lage gewesen und hätte auch nicht die Energie gehabt, um mich aufzuregen und das dann auch noch im Blog zu formulieren. Da hatte ich ständig Denkaussetzer und null Energie. Auch ohne Kopfbestrahlung. Das siehst du hier in meinem Video nach der dritten Chemo am 14. Februar. Auweia.
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Leitlinien Lungenkrebs
Aber ich bin abgeschweift. Sorry.
Und zurück zu der Strahlenexpertin. Anscheinend gehört es zu den Pflichten der Fachärztinnen, diese prophylaktische Hirnbestrahlung zu empfehlen, weil diese – warum auch immer – in den Leitlinien zur Behandlung von Lungenkrebs steht. Nicht, dass Ärzteinnen sich immer an diese Leitlinien halten würden.
Tatsächlich wurde bereits 2007 im Ärzteblatt kritisiert, dass die zugrundeliegende Studie für die Empfehlung, das Gehirn bei fortgeschrittenen Lungenkrebs prophylaktisch zu bestrahlen, Erfolge vorgegaukelt hat, die so gar nicht vorhanden waren:
Bezogen auf den absoluten Überlebensgewinn wirken die Zahlen weniger überzeugend. Das mediane rezidivfreie Überleben wurde gerade einmal von 12 auf 14,7 Wochen verlängert. Das Gesamtüberleben nach der Randomisierung stieg von 5,4 auf 6,7 Monate, also einen Monat länger durchschnittlich. Es wäre deshalb übertrieben von einem Durchbruch zu sprechen, zumal die Strahlendosis nicht ohne Folgen für die Patienten blieb. Abgeschlagenheit (54 statt 39 Prozent), Haarausfall (37 statt 12 Prozent), aber auch Appetitlosigkeit (44 statt 15 Prozent nach 3 Monaten), Nausea und Vomitus (27 statt 8 Prozent nach 3 Monaten) sowie Schwächen in den Beinen (32 statt 16 Prozent nach 3 Monaten) traten nach der Bestrahlung deutlich häufiger auf.
Und jetzt halte dich fest: die Studie (unter der Leitung von Ben Slotman von der Universität Amsterdam), von der wir hier reden und auf die sich sämtliche Fachärzte beziehen, wurde mit exakt 286 Patient*innen im fortgeschrittenen Stadium durchgeführt. Zweihundertsechsundachzig. Lass dir das auf der Zunge zergehen. Und das nennen die repräsentativ.
Try and Error
Dass eine Ganzhirnbestrahlung Folgen hat, sagt einem schon der gesunde Menschenverstand, finde ich. Da braucht es keinen Fachartikel. Schließlich werden die Strahlen eingesetzt, um potentielle Krebszellen im Gehirn zu verschmoren und zwar im ganzen Gehirn. Das ist wie mit Kanonen auf Spatzen schießen.
Ich sag’s mal so zur Veranschaulichung: da wo mal Erwin, mein Tumor war, ist jetzt nur noch eine Narbe. Wofür ich sehr dankbar bin. Da wurde allerdings zielgerichtet bestrahlt. Aber du siehst daran, was Strahlen ausrichten können.
Das Gruselige ist ja: du siehst die Strahlen nicht, du riechst sie nicht und du spürst sie nicht und trotzdem haben sie eine ungeheure Wirkung. Das kann man feiern, aber man sollte als Ärzt*in trotzdem auch noch mit Respekt und Ehrlichkeit an die Sache rangehen.
Deshalb: wenn Du mal unsicher sein solltest, was von einem Therapievorschlag zu halten ist, dann frag Dein Gegenüber:
Würden Sie das bei sich oder Ihrer Mutter machen lassen?
Hier sind einige Tipps woran man Lügner*innen erkennen kann.
Bis zum nächsten Mal und lass mich wissen, wie Deine Erfahrungen so sind.
Deine tRaumpilotin